Licht am Ende des Tunnels

4 Tage später stand eine CT gesteuerte Biopsie vom betroffenen Knochen auf dem Plan.

Um 9 Uhr stand ich nüchtern und zitternd in der Radiologie, ich zog mich um und durfte das schicke OP Hemd anziehen. Es gab noch eine Braunüle und dann wurde ich auf dem Einschub fürs CT in Bauchlage positioniert. Wenn man einmal liegt, darf man seine Position nicht mehr ändern, wurde mir mit ernster Stimme gesagt und dann kam der Oberarzt und es ging los.

Es folgte das Abkleben der Einstichstelle, Desinfektion mit Jod, Quaddeln (Betäuben der Stelle) ausrichten durch mehrmaliges rein und raus Geschiebe ins CT. Dann sucht sich der Arzt einen Zugang zum Knochen und wieder wird man ins CT geschoben, um keine Verletzungen an der Wirbelsäule zu verursachen. Wenn er die richtige Stelle gefunden hat, nimmt er mit einer Art Handbohrer, Abrieb mit nach außen. Es hat sich abartig angefühlt, aber es war fast schmerzfrei. Als der Arzt mir sagte, dass es zu 85% kein Krebs sei, musste ich weinen. Ich fing wieder an zu zittern und ich merkte wie sich die Anspannung der letzten Tage  legte. Ich war so froh, dass er mein Bauchgefühl eben bestätigt hatte, bis zur letzten Minute hatte ich Angst vor der Diagnose Krebs.

Nach dem Eingriff der 15 Minuten dauert, wird man 2 Stunden zur Beobachtung im Vorraum behalten. Leider hatte ich keinen Handyempfang und was soll ich sagen, es waren die längsten 2 Stunden die ich je erleben musste. Ich war nicht in der Lage diese Nachricht an meine Liebsten zu schicken und war zum nichts tun gezwungen.

Nur wegen einer Biopsie verschwinden leider die Schmerzen nicht, die Betäubung der Hautstelle ließ nach und zu meinen Rückenschmerzen gesellten sich noch weitere ungekannte Schmerzen. Ich hatte am Morgen extra keine Schmerzmittel genommen, um keine Komplikationen mit dem injizierten Schmerzmittel hervorzurufen. Es krampfte und zog im Rücken und in den Rippen. Ich war kurz davor von der kleinen Transportpritsche zu springen. Ich rief nach der Schwester, weil der Notfallknopf den man mir gegeben hatte, ohne Funktion war. Man gab mir Novalgin und ich war dankbar, dass der Schmerz erträglicher wurde. Nach 2 Stunden rumgerutschte auf der Pritsche durfte ich dann gehen. Ich brachte meine Probe zur Ärztin von der Strahlenklinik und machte mich mit dem Taxi auf den Heimweg.

Bereit für den Tod

Vor der Tür suchte ich in der Suchmaschine meines Handys nach einigen Übereinstimmungen der Schlüsselwörter „Chemo, neuer Krebs, schnellwachsend), doch das hätte ich nicht machen sollen. Hier war die Rede von 12 Wochen und so wie sich mein Körper anfühlte, konnte ich diese Zahl auch nicht gerade als Lüge abtun.

Ich verließ den Flur und wollte nur noch um eine Ecke und aus dem Sichtfeld von anderen Menschen. Mein Puls beschleunigte sich und eine innere Kraft und Unruhe erfasste mich, ich wollte weinen, los rennen, mit meinem Bruder telefonieren, um mit Ihm den Wohnort von meinem Sohn und meiner Mutter zu klären. Dann tauchten Bilder von den geliebten Menschen auf, die ich einfach im Stich lassen musste. Ich war hilflos und keine Lösung schien in dieser kurzen Zeit zu greifen. Ich wusste ich konnte diese Probleme hier vor Ort jetzt nicht lösen und zwang mich zu einem 10 Punkteplan. Mit Panik, Hilflosigkeit und Tränen wollte ich keine Straßenbahn fahren, daher atmete ich tief durch und drängte meine Gedanken an die Aufgaben die ich erledigen musste.

Immer wieder kämpfte ich um meine Fassung in der Bahn, die Tränen waren nur einen Wimpernschlag entfernt. An meiner Station angekommen, schoss ich aus der Bahn und ich musste noch ein Stück laufen um meine eigenen 4 Wände zu erreichen. Dort im Schutz der Einsamkeit wollte ich meiner Schwäche kurz nachgeben und dann den Plan „Absicherung für die ganze Familie“ innerhalb der nächsten 12 Wochen in Angriff nehmen. Ich war im Hausflur, öffnete die Wohnungstür und hatte noch im Kopf das mein Sohn in die Stadt wollte und gab mich dann ungebremst dem Schluchzen hin. Es tat gut die Folgen die diese Diagnose mit sich bringen sollte, auszuspülen. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich den ganzen Krebs rausgeweint.

Ich hörte meinen Sohn „Mama, was ist los?“ sagen und als nächstes kam er aus seinem Zimmer geschossen. Geschockt schaute ich Ihn an, nur um dann schnell den Blick in eine andere Richtung zu lenken, das wollte ich nicht, er sollte mich nicht so aufgelöst sehen. Ich versuchte mir die Tränen weg zu wischen und Ihm nicht ins Gesicht zu sehen. Aber so schnell kann man dem Strom von Tränen nicht zum Versiegen bringen. Er kam näher und nahm mich in seine Arme, da er einen Kopf größer ist als ich musste ich Ihm auch nicht in die Augen schauen, aber ich wusste, dass ich Ihm etwas erzählen musste. Sorge lag in seiner Frage „Mama, was ist denn passiert?“ Und ich begann ihm von meiner Diagnose zu berichten. Es war ein Schock für Ihn und wir weinten zusammen. Dieses Spiel wiederholte sich dann noch als mein Mann und meine Mutter nach Hause kamen.

Es tat mir tief im Herzen weh, den Menschen die mich lieben und brauchen, so eine schlechte Nachricht zu überbringen. Doch das sind die Momente die man brauch um festzustellen, was man im Leben  noch alles ändern sollte, solange man dazu in der Lage ist. Ich rede von einer Absicherung für die, die wir zurücklassen. Viele Menschen haben nicht mal die Gelegenheit noch etwas zu klären. Sie werden während eines Autounfalls einfach aus dem Leben gerissen und die Leitragenden sind dann zum Beispiel die Kinder. Sie werden, wenn es ungünstig läuft zu Vollwaisen und wachen ohne Liebe und finanziellen Mitteln auf, kein Mensch kümmert sich um Sie oder setzt sich für sie ein.

Ich wollte meiner Familie einen Lichtblick, eine Gelegenheit zum Hoffen geben und daher teilte ich jedem meine Vermutung mit. Ich war noch immer fest davon überzeugt, dass es kein Krebs war. Es fühlte sich anders als Krebs an. Krebs ist versöhnlich nicht so kaltblütig. Es ist eine Lebensform die fortbestehen möchte, sie möchte wachsen und verursacht selten solche Reaktionen im Körper, wie die, die ich die letzten Wochen fühlte. Daher versprach ich meinen Lieben, dass ich noch nicht aufgebe und alles tue um diese Diagnose ungeschehen zu machen.

In der Strahlenklinik

Man hatte für mich einen Termin in der Strahlenklinik für den 03.03.2017 ausgemacht und ich wehrte mich schon innerlich gegen weitere Therapieansätze, wenn die eine Sache noch nicht geklärt ist. Das teilte ich auch der Ärztin bei unserem ersten Gespräch mit und Sie hörte sich mein Klagen an.

Doch Sie machte etwas, was keiner der Ärzte vorher machte. Sie hinterfragte und war interessiert und wollte das Rätsel lösen. Sie telefonierte und 3 Tage später hatte ich einen Termin in der Radiologie. Ich war so dankbar.

Nebenbei hatte ich 2 x Krankgymnastik und musste leider arge Abstriche machen. Es wurde nach der Sitzung so schlimm, dass ich wieder Schnappatmung bekam. Ich warf mir Ibuprofen ein und nahm meine Sitzposition im Bett ein, damit sich die Muskeln entspannen konnten.

Von meiner Wirbelsäule wurde ein CT gemacht und 2 Tage später konnte ich den Befund mit der jungen Ärztin aus der Strahlenklinik besprechen.